Der Ruf nach mehr Wohnraum hallt seit Jahren durch unser Land. Die Forderung an Städte, Gemeinden und Landkreise gilt dabei meist der größeren Ausweisung von Baulandflächen. Übersehen wird häufig das Potenzial der vielen Brachflächen, des ungenutzten Bestands oder der freien Grundstücke.
Bleibt ein Gebäude oder eine Baulücke über lange Zeit ungenutzt, hat dies oft bürokratische Gründe: Gesetzliche Bestimmungen wie Abstandsflächen, Brand- oder Lärmschutz, aber auch städtische Satzungen und Denkmalschutzvorgaben erschweren die Planung. Die Folge sind lange Genehmigungsprozesse, die Planende und Bauherren oft vor eine große Geduldsprobe stellen und Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des Projekts säen. Einfacher erscheint es da, neue Baulandflächen auszuweisen und auf der „grünen Wiese“ zu bauen. In der sechsten Ausgabe der stadt/land/dach bezeichnete Architektin Julia Erdmann diese Art von Gebäuden bzw. Quartieren als „seelenlose Investorenarchitektur, die an betongewordene Excel-Listen erinnert“. Wollen wir das wirklich? Sollte Architektur nicht den Anspruch erfüllen, wandelbare Lebens- und Arbeitsräume zu schaffen, die den Menschen und ihren sich verändernden Lebensentwürfen entsprechen? Und ist es angsichts des Klimawandels zielführend, freies Land zu bebauen, anstatt Bestehendes zu nutzen?
Hier birgt die Nachverdichtung erhebliche Chancen. Ob Aufstockung, Umbau oder Baulückenschluss – sie bietet eine Möglichkeit, Flächen zu sparen und die bereits vorhandene Infrastruktur zu nutzen. Vor allem im ländlichen Kontext kann sie zudem der Zerfaserung der Ortskerne entgegenwirken. So auch in einem Stadtteil von Tuttlingen: Für eine Restfläche in heterogener Struktur entwickelte Studio Yonder ein Einfamilienhaus. Seine Kubatur leitet sich aus Grundstücksform, Abstandsflächen und Sonnenverlauf ab. Während der vollständig schwarze Solitär mit seinem geneigten Dach, aus der Vogelperspektive betrachtet, deutlich he vorsticht, fügt er sich von der Straße aus gesehen unauffällig in die gewachsene, dörfliche Bebauung ein.
Konzepte dieser Art sind es, die zeigen, dass sich örtliche und gesetzliche Vorgaben durchaus kreativ nutzen lassen. Keine unwesentliche Rolle spielen hierbei die Dachformen. Denn die Identität der meisten Städte und Gemeinden wird durch Steildächer geprägt. Aus diesem Grund schreiben viele Bebauungspläne und Denkmalschutzämter diese Dachform bereits vor. Mit dem Wohnhaus am Prenzlauer Berg in Berlin entstand etwa ein Gebäude, das mit seinem steil aufragenden, gut zehn Meter hohen Dach mehr Pyramide als Kubus ist. Die eigenwillige Form des Hinterhofhauses entwickelte das Berliner Büro Barkow Leibinger in engem Austausch mit Denkmalschutz und Bauaufsicht. Sein Ziegelkleid, das sich von der Fassade über die Dachflächen zieht, greift die Farbigkeit der umgebenden Bebauung auf. Und auch in Krakovo, einem dörflich geprägten Viertel von Ljubljana, gestalteten Dekleva Gregorič Architekten ein ehemaliges Wirtschaftsgebäude zu einem nur 43 m² kleinen Ferienhaus um. Der denkmalgerecht zum Himmel gerichtete Lichtschacht sowie ein wandgroßes Schiebefenster zum Atrium leiten nun Sonnenlicht in das nach Norden ausgerichtete XXS-Haus.
Das steile Dach bietet in Sachen Nachverdichtung somit nicht nur ein Experimentierfeld, auf dem sich die zunächst scheinbar hinderlichen, bürokratischen Vorgaben ausloten lassen, sondern ist auch Vermittler im städtebaulichen Kontext. Dass dies auch im größeren Maßstab funktionieren kann, beweist das Institut für Versorgungs- und Umwelttechnik im historisch geprägten Esslingen, das auf dem Cover dieser Ausgabe zu sehen ist. Durch die variierenden Höhen der aneinander gereihten Satteldächer gelingt es Knoche Architekten, die Kleinteiligkeit der denkmalgeschützten Nachbarschaft aufzugreifen und sie in ein zeitgenössisches Bild zu transportieren.
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