// Das Dach als Symbol der Baukultur

Baukultur ist kein Thema, das nur die Architektur betrifft. Baukultur ist vielmehr ein gesellschaftliches Phänomen und umfasst den Umgang der Menschheit mit ihrer gebauten Umgebung. Häuser, die entstehen, sind der „Bau“. Unser Umgang mit der Bebauung: die „Kultur“.
Die Gestaltung des Daches bietet in der heutigen Zeit die Chance, Historie und Moderne miteinander zu verbinden. Die bauordnungsrechtlichen Vorschriften der einzelnen Länder müssen hierzu als Herausforderung statt als Zwang betrachtet werden. „Je mehr Eigenheit und Charakter ein Ort hat, desto eher schafft er ein Gefühl von Heimat und Zuhause“, sagte schon der US-Stadtforscher Kevin A. Lynch. Und genau darin liegt die Chance. Es gibt schließlich nicht nur flach oder steil und nicht nur historisch oder modern. Es gibt Nuancen dazwischen, die zur baukulturellen Vielfalt beitragen und eine Stadt lebenswert machen.
Gewinner des Landbaukultur-Preises 2018 / Hofstelle Stiegler von Dürschinger Architekten.
Gewinner des Landbaukultur-Preises 2018 / Hofstelle Stiegler von Dürschinger Architekten.
// Landbaukultur
Während in städtischen Gebieten vielerorts das Flachdach Einzug gehalten hat und traditionelle Baukultur eher in den Hintergrund tritt, scheint es auf dem Land eine andere Auseinandersetzung mit dem Dach zu geben. Es wirkt, als gäbe es eine andere Akzeptanz, sogar eine Erfordernis für das geneigte Dach. Doch wer die Anmutung landwirtschaftlicher Architektur für selbstverständlich erachtet, irrt sich: Bauten werden zunehmend zweckmäßiger, und die Herausforderung, Gestaltung und Effizienz miteinander zu vereinen, wächst. Um häufig unterschätzte Architektur auf dem Land zu würdigen, wurde 2014 der Deutsche Landbaukultur-Preis von der Stiftung LV Münster ins Leben gerufen. Vorbildliche Bauten, die eine Bereicherung in der Kulturlandschaft darstellen und dabei architektonisch besonders positiv auffallen, werden seither alle zwei Jahre prämiert. Die Preisträger von 2018, Dürschinger Architekten mit ihrer Hofstelle Stiegler, haben es geschafft, wirtschaftlich funktionale Gebäude zu errichten, die auch gestalterisch überzeugen. Bei einem Großbrand auf der ehemaligen Hofstelle waren alle historischen Bestandsgebäude mit Ausnahme der alten Schmiede vernichtet worden. Mit dem Wiederaufbau ist ein Hofensemble aus Naturstein und Holz entstanden, das es schafft, den Flair des Vergangenen mit der Effizienz des Modernen zu verknüpfen, ohne dabei zu rekonstruieren.
// Sackgasse Rekonstruktion?
Ein vermeintlicher Weg zum Erhalt der Baukultur heißt heute Rekonstruktion. Durch Projekte wie die Frankfurter neue Altstadt oder den Wiederaufbau des Berliner Schlosses in aller Munde, ist damit die Konservierung einer Baukultur vergangener Zeiten gemeint. Doch ist der Wiederaufbau einer Hülle, die technisch nicht den heutigen Standards entspricht und dementsprechend nur Fassade ist, wirklich die Lösung? Der Grundtenor ist überall gleich: Bürger sind dafür, Architekten sind dagegen. Fürs Dach allein wäre der reine Wiederaufbau ein Gewinn. Als ursprüngliches Grundmotiv ist es seit Jahrhunderten immer auch das Erzeugnis der jeweiligen Zeit und des Ortes, in denen es entstanden ist. Und es ist unumstritten, dass das Steildach erst vor rund hundert Jahren durch die Gründung des Bauhauses wirklich Konkurrenz bekommen hat.
// Potenzial statt provinziell
Die Herausforderung heißt zeitgenössische Baukultur. Experimentierfreude, kreative Entwürfe und ausgefeilte Dachlandschaften zieren immer häufiger die Cover angesehener Architekturmagazine. Die Architekten bekommen Lust auf einen neuen Umgang mit dem Dach. Es entstehen kulturelle Sonderbauten wie die Elbphilharmonie in Hamburg oder Wohnkomplexe wie das Isbjerget in Dänemark. Immer häufiger orientiert sich die Architektur dabei auch an den Baumeistern der Natur. Das Dach übernimmt neben der rein schützenden Funktion auch hier immer einen wichtigen Teil der Gesamtgestalt. 
Nord

Im Norden Deutschlands sind es weniger die Gebäudeformen als vielmehr Materialien, die das Bild von Städten und Gemeinden prägen. Um den rauen Wetterverhältnissen zu trotzen, werden häufig widerstandsfähige Klinkerfassaden und Ziegeldächer verwendet. Das hat nicht nur funktionale, sondern auch rein praktische Vorteile. Denn Lehm und Ton zur Produktion von Backstein und Ziegeln stammen aus der Region.

Insbesondere für den süddeutschen Raum gilt das Steildach mit spitzen, flachen oder verzierten Giebeln als identitätsstiftend und traditionell. Doch auch hier gibt es regionale Unterschiede: Während in Oberbayern und im südlichen Teil Schwabens langgezogene Giebel mit flachen Dächern bevorzugt werden, dominiert in Unterfranken das Fachwerk.

Süd
Bildnachweise: Wolfram Reuter (1); schachspieler / photocase.de (2); moreimages / Shutterstock.com (3)

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