Die Stadt zu Füßen, die Aussicht unverbaubar, die oberste Etage an den besten Adressen: Das Penthouse gilt als Inbegriff des urbanen, luxuriösen Lebens. Auf den Immobilienmärkten von Manhattan bis Frankfurt steigen mit jedem Stockwerk die Preise und Wohnungsgrößen. Was für die einen im wahrsten Sinne die Krönung des Wohnens darstellt, ist für andere Ausdruck von Verdrängung durch Gentrifizierung und eine fehlgeleitete bis nicht-existente Wohnungspolitik.
Jakob Wirth, so viel ist klar, gehört zur zweiten Gruppe. Der an Kunsthochschulen wie in den Sozialwissenschaften gleichermaßen (aus-)gebildete Künstler setzt sich in seinen Performances und Aktionen regelmäßig mit dem „Recht auf Stadt“ auseinander, wie es der Soziologe und Philosoph Henri Lefebvre begründet hat. Zuletzt sorgten Wirth und ein Partner in Berlin mit einer Plattform von der Größe eines durchschnittlichen SUV für Aufsehen. Diesen mit Sitzecke, Regalen und sogar einer Matratze ausgestatteten „Raum“ stellten sie auf verschiedenen Parkplätzen ab, veranstalteten dort Zusammenkünfte und Konzerte, vermieteten ihn aber auch temporär und erweckten so Flächen zum Leben, die normalerweise dem „toten“ Automobil vorbehalten sind.
„Parasite Parking“ haben die beiden das genannt. Der Parasit mag in der Gesellschaft einen schlechten Ruf haben. Doch erstens bezieht sich Jakob Wirth bei dem Begriff auf Philosophen wie Michel Serres. Er beschreibt den Parasit nicht zuletzt als Störfaktor, als ein Ordnung veränderndes Rauschen in der Kommunikation zwischen Sender und Empfänger, das – durchaus produktiv – Widersprüche erzeugt und offenlegt. Und zweitens ist nicht erst mit dem gleichnamigen, Oscar-prämierten südkoreanischen Film die Frage populär geworden, wo in kapitalistischen Systemen eigentlich die Wirte und wo die Parasiten zu verorten sind.
Ähnliche Überlegungen prägten zuvor bereits das von Wirth konzipierte „Penthaus à la Parasit“. Als „Aneignung von oben“ beschrieb der Künstler die Aktion. Die Frage, wo sich in Großstädten noch Freiräume für bezahlbare Unterkünfte befinden, führte ihn auf Parkhäuser, aber auch auf die Flachdächer von Wohn- und Gewerbebauten. Bei besagtem Penthaus handelt es sich um ein 3,6 Quadratmeter kleines, portables Holzhäuschen, das sich in wenigen Stunden aufund abbauen lässt. Mit seinem spitzen Dach und der reflektierenden Außenhaut mag man an eine futuristische Urhütte denken. Daraus ergibt sich der interessante Effekt, dass das Gebäude sich trotz seiner geringen Abmessungen vom Einerlei der urbanen Flachdachlandschaften deutlich abhebt. Zugleich spiegeln sich die Umgebung und der Himmel in der Oberfläche wider, was je nach Lichteinfall und Perspektive für fast mystische Anblicke sorgt.
Ohne Genehmigungen oder das Einverständnis der Gebäudeeigentümer platzierte der Künstler mit Mitstreiter*innen das Häuschen in besten Lagen Berlins und Münchens, aber auch in Weimar und Bernau. Von wenigen Tagen bis zu mehreren Wochen reichten die einzelnen Aufenthalte – je nach Sichtbarkeit und Verständnis der Verantwortlichen. Interessierte konnten dann jeweils für eine Nacht einziehen und dabei etwa über die teuren Boutiquen und noblen Hotels im Herzen der bayerischen Landeshauptstadt blicken. Mit Bett und Schreibtisch, Komposttoilette und Campingkocher bot das vermeintlich parasitäre Penthaus das Nötigste. Die Flächen davor wurden für Konzerte und Diskussionsrunden genutzt.
Wie weit sich die Immobilienpreise mancherorts inzwischen von den Lebensrealitäten der meisten Menschen entfernt haben, zeigen Inserate bei großen Immobilienportalen, die Jakob Wirth auf Grundlage entsprechender Durchschnittspreise online gestellt hat. In der Münchener Altstadt wurde das weniger als vier Quadratmeter große Penthaus à la Parasit so für 44.900 Euro angeboten und fand sogar zu diesem Preis Interessent* innen.