Maximilian Niggl, Nikola Savić und Bastian Sevilgen lernten sich an der Bauhaus-Universität Weimar kennen und entwickelten im Laufe ihres Studiums eine gemeinsame architektonische Haltung und Arbeitsweise. Bei aller Verbundenheit waren es aber auch ihre individuellen Stärken, die sie im Jahr 2010 dazu bewogen, sich unter dem einprägsamen Namen „dreigegeneinen“ zusammenzuschließen.
Aber wer ist denn eigentlich dieser „Eine“? Wichtig sei nicht, wer die eine Person ist, so Bastian Sevilgen. Das könne jemand aus dem eigenen, inzwischen 12-köpfigen Team, der Bauherr oder andere Beteiligte sein. Vielmehr gehe es um den Umgang mit dieser Gegenstimme, die keinesfalls negativ zu werten, sondern im Sinne einer positiven Reibung zu verstehen sei. Dieses Schaffen, Hinterfragen und gegebenenfalls auch mal Verwerfen gehöre zum kreativen Prozess, um für alle Beteiligten das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.
Beim Um- und Ersatzneubau eines Doppelgehöfts zum Kreativquartier in Berlin-Neukölln hatten die drei allerdings nicht nur mit einer, sondern gleich mit einer Vielzahl an Gegenstimmen umzugehen. Besagtes Gehöft ist Teil des Böhmischen Dorfes, einer 1737 gegründeten Gemeinde protestantischer Flüchtlinge. Die ein- bis zweigeschossigen Bauernhäuser mit Satteldach umschließen großzügige Freiflächen, die von der Straße kaum einsehbar sind, den Ortsteil aber noch immer prägen. Während viele der Gebäude bis heute von den Folgegenerationen bewohnt werden, wurde das Ensemble zwischen Richardstraße und Kirchgasse im Laufe der Jahre zum Büro, Garagen und einer KFZ-Werkstatt umgebaut.
Mit der Beauftragung für seine Wiederbelebung galt es, zunächst Licht ins Dunkel zu bringen. Denn die Gebäude waren nicht nur baufällig geworden. Die historischen Grundrisse von Hinterhaus und Remise hatten beim Wiederaufbau in den Nachkriegsjahren zudem keine Berücksichtigung gefunden – von Aufenthaltsqualität keine Spur mehr. Darüber hinaus steht das gesamte Böhmische Dorf unter Ensembleschutz, was klare Vorgaben des Denkmalamtes und eine aufwändige Recherche für die Durchsetzung neuer Vorschläge mit sich brachte. Auf Basis einer Studie schlug das Büro schließlich eine Nutzung als Kreativquartier mit Büroflächen sowie den Abriss und Neubau von Hinterhaus und Remise vor. Vor allem Letzteres zog den Ärger der Nachbarschaft auf sich. Man hatte, so ehrlich müsse man sein, meint Sevilgen, die starke Identifikation der Menschen mit dem Ort unterschätzt, sah dies aber als große Chance. Sie suchten daraufhin das Gespräch mit den Anwohner*innen, tauschten sich aus und brachten neue Elemente in ihren Entwurf ein.
Heute steht ein Walnussbaum auf dem öffentlich zugänglichen Hof des Kreativquartiers – ein klassisches Merkmal des Viertels, von dem dreigegeneinen erst durch den Kontakt zur Nachbarschaft erfuhren. Das dörfliche Erscheinungsbild und der einstige Durchgang zur Kirchgasse wurden unter Berücksichtigung der historischen Grundrisse wiederhergestellt. Helle Putzfassaden und rot gedeckte Satteldächer greifen die Umgebung auf. Ein wesentliches Gestaltungselement, das den zeitgenössischen Charakter des Quartiers erkennen lässt, sind die Dachgauben. Variierend in Größe und Anordnung, ziehen sie sich vom Neubau bis zum Bestand und verbinden auf diese Weise Alt und Neu. Und spätestens im Inneren der Gebäude wird klar, dass die Architekt*innen auch die Zukunft im Blick hatten. Kein Raum gleicht dem anderen. Mehrgeschossige Lufträume, zum Teil bis in den Dachraum, erzeugen verschiedenste Arbeitssituationen. Sollten sich die Anforderungen der Nutzer*innen einmal ändern, lassen sich die Einheiten ohne großen Aufwand zusammenschalten. Eine lange Nutzungsdauer sei ein wesentliches Kriterium des nachhaltigen Bauens, meint Sevilgen. Deshalb sei ein Gebäude niemals für sich, sondern immer im Kontext zu betrachten und sollte einen Mehrwert für seine Umgebung bieten. Im Falle des Kreativquartiers ist dies gelungen, die historische Lücke des Böhmischen Dorfes wurde geschlossen.