// ÜBER DIE ARCHITEKTONISCHE HERAUSFORDERUNG DER „ALLTAGS-AVANTGARDE“

Zwischen den medientauglichen Projekten großer Stararchitekten und herkömmlicher Alltagsarchitektur besteht meist eine große Diskrepanz. Während öffentliche Bauten wie die Elbphilharmonie, das Historische Museum in Frankfurt oder die neue Kirche in Poing mit ihren aufwendigen Dachkonstruktionen Pracht, Prestige und Qualität ausstrahlen, scheinen in der Alltagsarchitektur Funktion und Nutzwert statt Repräsentation im Vordergrund zu stehen.

Was nicht bedeuten soll, dass gute Architektur immer spektakulär sein muss und sich nicht in Zurückhaltung üben darf. Im Gegenteil; eine maximale Dichte geltungsbedürftiger und herausstechender Architektur täte kaum einer Stadt gut. Doch sollte sie keinesfalls banal oder beliebig sein. Allzu oft heißt es, Architekten verschandelten die Städte, sie seien entweder unkreativ oder aber realitätsfremd. Zur Rechtfertigung werden dann meist wirtschaftliche Zwänge herangezogen, Investoren seien schuld, die Bauträger interessierten sich nicht für ein attraktives Stadtbild, und dann wären da auch noch die Gestaltungsbeiräte, die ihr Übriges dazutun

Medientaugliche Prestigeprojekte wie die Elbphilharmonie sind meist in aller Munde.
Die Alltagsarchitektur kann sich einiges von der Stararchitektur abgucken und in den kleinen Maßstab übertragen.
// KEINE ARCHITEKTUR VON DER STANGE
In Anbetracht der Vielzahl an Wohnungen, die aktuell benötigt werden, darf dieser Interessenkonflikt allerdings nicht auf dem Rücken der architektonischen und städtebaulichen Qualität ausgetragen werden und in Monotonie und rein wirtschaftliche Interessen münden. Höhere Anforderungen an den Wohnungsbau bei gleichen Kosten dürfen nicht automatisch zu Abstrichen bei der Ästhetik, bei fantasievollen Grundrissen und aufwendigen Fassaden führen. Die Akteure am Bau müssen sich ihrer baukulturellen Verantwortung bewusst werden. Die Wiederholung stets gleicher Formen ist unattraktiv; wir streben nach mehr Vielfalt, um uns wohlzufühlen.
// REDUZIERTE INTERPRETATION

Welche Rolle dabei nicht zuletzt auch die Dachform spielt, bestätigen auch Architekturkritiker wie Niklas Maak oder Gerhard Matzig in ihren Beiträgen über einfallslose Architektur, Klinkerklötze oder den Fluch der Schuhschachteln, von denen eine flacher ist als die nächste.

Kritiker gab es auch bei der Elbphilharmonie: Das steinerne Industriedenkmal mit aufgesetzter, gläserner High-End-Avantgarde ist nach Jahren der Auseinandersetzung zum neuen Wahrzeichen Hamburgs geworden und symbolisiert die Verbindung zwischen Tradition und Moderne. Doch was kann die Alltagsarchitektur aus Projekten wie der Elphi lernen, und kann sie es überhaupt?

Auch wenn sich die Baukosten in finanziellen Sphären bewegen, die mit dem Alltag des Bauens nichts gemein haben, ist es das architektonische Selbstbewusstsein, das jeder Architekt mit seinem Projekt ausdrücken kann. Es geht nicht darum, ein wellenförmiges Dach oder eine Fassade aus 1.096 einzelnen Fensterelementen zu bauen, es geht auch nicht darum, sich auf einem historischen Kaispeicher zu platzieren. Vielmehr sind es die architektonische Grundidee, die den Ort bereichert und zum Treffpunkt gesellschaftlichen Lebens macht, der Umgang mit den Details oder auch die Materialität, die ebenso auf den kleinen Maßstab übertragen werden können.

// INDIVIDUELL STATT STANDARDISIERT
In ihrer baulichen und sozialen Angemessenheit sind es Beispiele wie das Ronald-McDonald-Haus in Berlin oder das Johann-Heinrich-Voß-Haus in Mecklenburg-Vorpommern, die zeigen, welche Bedeutung der Materialität, dem Bezug zur Umgebung oder auch der Formgebung eines Gebäudes innewohnen. Von innen wie von außen drückt das „Waldhaus“ mit den schützenden Schrägen von n+1 Architekten Behaglichkeit, Geborgenheit und Wärme aus. Das Zuhause auf Zeit für Familien schwer kranker Kinder ist alles andere als seelenlos und einheitlich, sondern ein Rückzugsort, der lebendig ist und altern darf. Das Voß-Haus hingegen ist der Archetyp Haus, nur modern interpretiert. Form und Materialität zeigen, wie selbstverständlich sich der Neubau einfügt und das Ensemble behutsam komplettiert.
Bildnachweise: steffne / photocase.de (1); Heiner Leiska (2); Foto Jung, Neustrelitz (3)

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