// REVITALISIERUNG MIT RESPEKT: VOM KUHSTALL ZUM KREATIVRAUM



// MARKUS INNAUER (L.), SVEN MATT (R.)

Die Baukultur des Bregenzerwaldes in Vorarlberg zeichnet sich durch eine Synthese aus Tradition und Moderne aus, in der bewährtes Handwerk, regionale Materialien und zeitgemäße Bauformen zusammenwirken. Charakteristisch hierbei ist die Verbindung aus natürlichen, lokalen Materialien, klaren Linien und minimalistischer Formensprache. So finden sich in der Region typischerweise Häuser mit Satteldächern und holzverschalten Fassaden, die meist noch von Hand gestaltet werden.

Das geneigte Dach hat sich hier aus gutem Grund durchgesetzt: Seine hohe Tragfähigkeit und die ausgeprägte Neigung trotzen der Witterung mit den schneereichen Wintern in Vorarlberg. Zudem ist es Ausdruck einer tief verwurzelten architektonischen Kultur, in der hochwertige Verarbeitung eine zentrale Rolle spielt und die immer auch eine unmittelbare Beziehung zur umgebenden Landschaft herstellt. Unter Berücksichtigung dieser Traditionen sanierte und revitalisierte das dort ansässige Architekturbüro Innauer Matt das alte Bregenzerwälderhaus „Kriechere 70“ in Bezau – benannt nach der Straße, an der es sich befindet.

Für mehr Arbeitsfläche in ihrem Büro bauten die Architekt*innen den bisher ungenutzten Dachboden aus.
// EIN GEBÄUDE, VIELE NUTZUNGEN

Das ursprüngliche Bauernhaus mit Kuhstall wurde in den 20er bis Mitte der 90er Jahre zum Fotografie-Fachgeschäft der Familie Hiller und 2012 – nach fast zwanzig Jahren Leerstand – zum Architekturbüro Innauer Matt. Schnell entstand der Wunsch, das histori- sche Gebäude zu revitalisieren, um mehr Raum zum Arbeiten zu gewinnen. Zudem sollten auch zwei Unterkünfte für Mitarbeitende sowie eine Wohnung für den Sohn der Familie Hiller entstehen.

// DAS HERZSTÜCK IM FOKUS

Der Erhalt der traditionellen Formensprache hatte bei der neuen zeitgenössischen Interpretation höchste Priorität. So behielt das Gebäude seine ursprüngliche Kubatur mitsamt Krüppelwalmdach bei. „Besonders wichtig war uns aber, dass das Fotostudio erhalten bleibt“, erinnert sich der Architekt Sven Matt. Das Studio wurde in den 60er Jahren vom Architekten Leopold Kaufmann integriert. „Kaufmann ist so etwas wie der Urvater des Holzbaus hier in Vorarlberg, und man spürt in dem Raum die Hingabe, mit der er sein Erstlingswerk gestaltet hat“, so Matt.

„Architektur soll Orte verbessern oder zumindest nicht verschlechtern. Dazu muss sie in einen Dialog treten – mit der Umgebung und dem, was wir dort vorfinden.“
Sven Matt, Gründer von Innauer Matt Architekten
Die schräge Decke des Fotostudios erlaubt eine effiziente Flächennutzung über Split-Levels im aktivierten Dachraum.
// ARBEITEN UNTERM STEILDACH

Da das Vorderhaus in einem zu schlechten Zustand war, entstand an seiner Stelle ein zeitgemäßer Neubau, der gestalterisch an den Bestand anknüpft. Dabei blieb die Struktur des typischen Bregenzerwälderhauses mit Vorderhaus, Tenne und Hinterhaus erhalten: Im Vorderhaus wurden die neuen Wohneinheiten geschaffen, während das Atelier im Hinterhaus durch das Architekturbüro genutzt wird. Die Büroflächen erstrecken sich dabei bis in den Dachraum, der im Zuge des Neubaus aktiviert wurde. Die ehemalige Tenne dient nun als vertikale Verbindungszone zwischen den Gebäudeteilen. „Aufgrund des baufälligen Zustands haben wir die komplette Gebäude- hülle ab- und um das Fotostudio herum wieder aufgebaut“, erinnert sich der Architekt.

// HISTORISCHES HANDWERK AUS DER REGION

Von großer Bedeutung bei der Revitalisierung des Gebäudes war das regionale Netzwerk. „Wir haben im Umkreis von fünf Kilometern Handwerksbetriebe, die die zum Teil 150 Jahre alten Techniken beherrschen“, erklärt Sven Matt. Typisch für die Architektur des Bregenzerwaldes ziert auch hier eine Schindelfassade aus regionalem Holz das Vorderhaus. „Die Schindeln wurden für eine mög- lichst lange Haltbarkeit von Hand gespalten, rund ausgestanzt und einzeln an die Wand geschlagen.“ Auch die kurzen Transportwege erleichterten die Umsetzung. So konnte der Zimmermann elementierte Teile des Gebäudes innerhalb von fünf Minuten auf die Baustelle liefern. Dieser enge Bezug zu Handwerk und Materialien aus der Region und nicht zuletzt die einfache Rückbaubarkeit der Holzfassade unterstreichen den Nachhaltigkeitsaspekt der Bestandssanierung.

Für die rund 2.000 Einwohner*innen von Bezau ist „Kriechere 70“ wieder zu einem besonderen, identitätsstiftenden Blickfang des Ortes geworden.

Bildnachweise: Adolf Bereuter

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